Hallo und herzlich Willkommen zur neunten Episode meines Podcasts, willkommen beim r(H)einreden®!
Vielen Dank für die tollen Rückmeldungen der letzten Wochen! Ja, es ist Dir also aufgefallen, dass ich letzten Sonntag keine Episolde veröffentlichen konnte. Trotzdem bist Du auch weiterhin bei mir und dafür habe ich Dir heute eine – wie ich finde – äußerst interessante systemische Methode mitgebracht! Schön dass Du reinhörst!
Sicherlich hast Du in Deinem Leben auch bereits einmal ein Dilemma erleben müssen oder dürfen. Die Qual der Wahl zwischen zwei Optionen. Geht es dabei nur um Banalitäten, wie Kaffee oder Tee, dann ist die Entscheidung recht schnell gefallen. Wenn es aber um eine Dein Leben verändernde Entscheidung gehen soll, dann kann Dein Dilemma zur persönlichen Hölle werden. Zwickmühle ist dann ja noch eine eher harmlose Beschreibung für Deine Erlebniswelt. Im Freundeskreis erntet man oft Rat“Schläge“, die auch gut gemeint sind.
Das schilderte mir auch eine Klientin, die aus ihren Systemen (Freunde und Familie) stets die beständige Lösung als Ratschlag erhielt: „Lass alles besser so wie es ist!“. Das hatte meines Erachtens auch etwas damit zu tun, dass ihr Umfeld keine Veränderungen bei ihr akzeptieren wollte. Denn eine Veränderung hätte ja auch einen Abschied bedeuten können. Achte einmal darauf, wenn Du in Deiner Beratung an solch einen Punkt geraten solltest. Der „Egoismus“ bei Freunden und Familienangehörigen ist nicht immer negativ zu werten. Er soll das komplette System einfach nur schützen.
Dein Klient erlebt eine Problemtrance. Wie durch eine einglasige Brille ein Art Monoocular sieht er nur noch das Problem vor sich. Oder anders ausgedrückt: Er sieht nur noch das lodernde Feuer und seine Folgen, betrachtet aber nicht die nähere Umgebung, wo er dann einen Wasserschlauch zum Löschen finden könnte. Angst dominiert ihn hier!
Angst wurde mir bislang auch oft in Gesprächen geschildert.
„Was wäre wenn ich nach der Entscheidung alles verlieren würde?“ Nimm solche geäußerten Befürchtungen immer ernst! Diese Ängste sind nicht nur Hinweise auf Gefahren. Sie können Dir als Berater, Coach, Tainer und Therapeut vielmehr auch Hinweise auf Potentiale Deines Klienten geben. Hinter diesen Ängsten können Ressourcen versteckt sein! Das kann wiederum auch mit heute hinderlichen alten Glaubenssätzen zusammenhängen.
Wie kann man nun ein Dilemma auffächern?
Ich stelle auf Grafenwerth immer zuerst die beiden Pole einander gegenüber:
Das EINE und das ANDERE wie schon „The Clash“ 1982 gesungen haben:
„Should I stay or should I go?“
Die Bänke meiner Timeline aus Episode vier sind hier hilfreich.
Wir stellen uns zwischen zwei Bänken auf und suchen dann die EINE Bank für Variante 1 und später die ANDERE für Variante 2 auf – eben eine mögliche Methode auf Grafenwerth.
Eine weitere Methode, die auch die Kraft der Beratung im Gehen nutzen lässt, habe ich bereits einmal ausprobieren können. Ich habe mich mit meinem Klienten erst zur Ostseite der Insel begeben, zur Allee der großen Bäume. Hier sind wir soweit wie möglich auf Grafenwerth ans Ufer gegangen, an den sogenannten „Toten Arm“. Das EINE haben wir hier ausführlich besprochen und mein Klient hatte einen dünnen Ast in fünf kleine Stücke zerbrochen, die er bequem in seine Jackentasche stecken konnte. Tatsächlich hatte er hier nur 5 positive Argumente – für jeweils einen kleinen Stock einen Anker quasi. Trotz mehrfachem Hinterfragen konnte oder wollte er mir dann kein Contra nennen, so dass wir dann an die Westseite zu Ufer gegangen sind. Hier kamen wir dann an den „Steinstrand“, wo er kleine Steine für PRO und CONTRA der zweiten Option in seinem Dilemma fand.
Im Nachhinein entschloss ich mich übrigens dazu kleine Murmeln zu kaufen (im Spielwarengeschäft für unter 2€ pro Sack). Farblich gut abgestimmt: BLAU das EINE, GELB das ANDERE sowie GRÜN und WEISS. Für meinen Plan B eben, zu dem ich im Falle eines Klienten greifen werde, die/der sich nicht die Finger beschmutzen möchte. Ganz klar aber nur als Ausnahme, da ich grundsätzlich auf die gegebenen Mittel auf Grafenwerth zugreifen möchte!
Lass mich hier nun die dritte Variante ins Spiel bringen. Ich wende diese dritte Möglichkeit zur heilsamen Irritation an.
BEIDES
oftmals eine undenkbare Variante. „Wie soll denn das gehen?“ Gehen und bleiben zugleich? Auf den ersten Blick schier unmöglich! Ich kann nicht gleichzeitig auf der einen und auf der anderen Bank sitzen! Und erst recht kann Dein Klient nicht zeitgleich an der West- und an der Ostseite der Insel das Ufer aufsuchen.
Dieses scheinbare Problem kann durch die Zeit gelöst werden. Frage Deinen Klienten was passieren müsste, damit er es doch hinkriegen könnte – zumindest zeitweise. Beim Wechsel vom Angestelltenverhältnis in die Selbständigkeit hat mein prominenter Kollege, der Sozialarbeiter Thomas Mangold, die Lösung einer Teilzeitbeschäftigung gefunden, um mal ein Beispiel aus der Arbeitswelt zu benennen. Man kann also zeitweise das EINE wählen und dann zu anderen Zeiten das ANDERE. Somit hat man die Kraft aus beiden Möglichkeiten vereint und beide Kräfte wirken jeweils auch auf die andere Variante. BEIDES kann also auch eine gangbare dritte Variante darstellen.
Allerdings nicht für jeden Klienten. Ein Teilzeitstudent kam mit der Frage auf mich zu, ob er eine schwere Prüfung (entscheidend für die Fortsetzung seines Studiums) vorziehen sollte? Oder sollte er lieber den letzten möglichen Termin wählen? Für ihn ein echtes Dilemma – mit Wirkung auf die Zukunft, zumal er neben dem Studium noch beruflich tätig war.
BEIDES tat er zunächst als „Quatsch“ ab. Nach unserem Gespräch stellte er aber fest, dass er den ersten Termin nutzen könnte und im Falle seines „Durchfallens“ den späten Temrin für die Nachprüfung. Somit gabe es also doch die Möglichkeit für BEIDES – eben zeitlich versetzt.
Wenn Du also bemerkst, dass Dein Klient mit dieser dritten Variante gut beschäftigt ist und es in ihm arbeitet, dann kannst Du es an diesem Punkt auch beim Input für die Beratungseinheit belassen. Das genau ist es doch was wir in unserer Rolle als systemisch arbeitende Berater wollen … Dein Klient kommt geistig in Bewegung – raus aus der Schockstarre der Problemtrance! Gib ihm Raum und vielleicht auch die Stille um darüber nachdenken zu können. Es müssen ja nicht alle denkbaren Möglichkeiten sofort auf den Tisch.
Fragt Dein Klient nach weiteren Optionen, da er mit diesen drei Wegen nichts anfangen kann, dann kommen wir zum interessanten Schritt dieser Methode.
Bei mehr als drei Möglichkeiten zum Polylemma, wenn man hier Wikipedia glauben darf. Zu viele Möglichkeiten sind meiner Meinung nach aber auch hier nicht zielführend, so dass ich Dir wie üblich empfehle: bleibe bei den Top5!
Ähnlich wie bei den WERTEN, die ich in meiner Episode zwei zum WERTERAD zur Wahl stelle, sollte es besser nur bei einer guten Hand voll Möglichkeiten bleiben – an jedem Finger einer Hand abzählbare Alternativen! Hier und heute dann das Tetralemma.
Jetzt wunderst Du Dich sicherlich, da „Tetra“ ja für „vier“ steht. Wieso vergleiche ich es hier mit den fünf Fingern einer Hand? Wenn Du bis zum Ende dieser Episode dran bleibst, dann wirst Du verstehen, was ein Tetralemma mit fünf Möglichkeiten zu tun hat.
Zunächst aber mal zur vierten Variante:
KEINES VON BEIDEN
Frage Deinen Klienten im nächsten Schritt einfach mal was er machen würde, wenn ihm die Entscheidung abgenommen werden würde. Was wäre denn, wenn ihm plötzlich beide Wege verwehrt werden würden? KEINES VON BEIDEN!
Wie würde er weiter vorgehen, wenn es keine dieser beiden Möglichkeiten für ihn geben würde? Welche Personen könnten ihm dann weiterhelfen? Welche Alternativen würden sich dann für ihn auftun? Welche Dinge bräuchte Dein Klient dann ganz dringend um weitere Schritte vornehmen zu können?
Ganz schön viele Konjunktive? Allerdings ist diese vierte Alternative oft sehr überraschend für die Klienten! Es wird ihnen dann oftmals klar, wie wertvoll die beiden Optionen des Dilemmas sind – oder vielleicht eben auch nicht. Vielleicht kommt Deinem Klienten dann die Idee, dass es sich gar nicht lohnt darüber Zeit, Kraft oder Engergie zu verschwenden?
Hast Du Deinen Klienten durch Deine Fragetechniken und die vier Möglichkeiten allerdings nicht in Bewegung bringen können, dann braucht er ganz klar mehr Zeit!
Diesen Fall habe ich auch schon erlebt – bei meinem eben genannten „Teilzeitstudenten“. Zum Ende der Einheit wollte er tatsächlich meine Meinung wissen. Also i.S. von: „Was würden Sie an meiner Stelle tun?“ Und obwohl ich ihm mehrfach erklärte und auch mehrfach darauf aufmerksam gemacht hatte, dass die Entscheidung ganz bei ihm liegt – trotzdem entlockte er mir eine Antwort. Er ging mit den Anregungen nach Hause und ich fragte mich, ob das nun ein entschiedener Fehler von mir war? Hätte ich schweigen sollen?
Im Ergebnis entschied er sich für das EINE – abweichend von meiner Antwort. Für mich stellte die Beratung dieses Klienten aber eine besondere Erfahrung dar, da ich von meiner allparteilichen Einstellung abgewichen bin. Eine Erfahrung, die mich lehrte dies nicht wieder zuzulassen!
ETWAS ANDERES als fünfte Variante kannst Du immer dann anbieten, wenn Dein Klient alle die vorherigen vier Möglichkeiten bearbeitet hat und dann noch immer zu keinem Ergebnis für sich gekommen sein sollte. Das ist dann auch eher eine Option für einen Folgetermin. Mache ihn auf den bislang durchlebten Beratungsprozess aufmerksam. Lass Deinen Klienten für sich ein Resümee ziehen und dann auf Basis dieser Ergebnisse ggf. das Tetralemma erneut aufstellen.
Frage Deinen Klienten, was er mit dem nun über sich und über das anfängliche Dilemma erlangten Wissen anfangen kann? Gibt es von dieser Position nun eine ganz ganz andere, eine fünfte Variante? Eine Variante, die ihn eher zu einer anderen Fragestellung führt, zu einer anderen Möglichkeit, die erst jetzt nach dem durchlebten Tetralemma sich als klare Alternative auftut? Oder eben vielleicht auch nicht?
Bestensfalls ist für Deinen Klienten die Entscheidung nun ganz klar! Selbst wenn das Ergebnis lauten sollte: „Alles bleibt.“, so kannst Du ihm gegenäber den Satz mit guten Gewissen ergänzen: „Alles bleibt neu!“.
Ich hoffe Du kannst mit dieser Methode einmal selber eine Fragestellung für Dich austesten. Im Stehen oder im Gehen nutzt Du alle Deine Ressourcen! Aus der eigenen Erfahrung heraus ist es dann immer einfacher Deinen Klienten bei seinem Tetralemma zu begleiten.
Schreib mir gerne Deine Erfahrungen und Anregungen zum Tetralemma im Gehen. Gerne über Twitter (@rHeinreden) oder per Mail.
Viel Freude beim Ausprobieren und vergiss nicht, mit mir kannst Du r(H)einreden®.